
Wenn das Feuer erlischt
Geschichten über Zerbrechen, Hoffnung und Neubeginn
Manchmal beginnt Stärke dort, wo die Angst am lautesten schreit.
Was, wenn das Leben nicht morgen beginnt, sondern genau jetzt?
In diesen bewegenden Kurzgeschichten begegnen wir Menschen, die im Hamsterrad des Alltags gefangen sind, an ihren Grenzen zweifeln oder sich in endlosen To-do-Listen verlieren. Sie alle ringen mit Überforderung, Angst und dem Gefühl, nie genug Zeit zu haben – bis ein Moment alles verändert.
Ob im Dunkelwald auf der Flucht vor den eigenen Schatten, im Café nach einer erschütternden Nachricht oder mitten im Kreisverkehr der Routinen: Jede Geschichte erzählt von der Kraft, innezuhalten, loszulassen und mutig einen neuen Weg zu gehen.
Mit viel Empathie und feinem Blick für die Zwischentöne schildert dieser Sammelband die kleinen und großen Wendepunkte, die das Leben bereit hält. Die Geschichten machen Mut, den ersten Schritt zu wagen, das eigene Feuer wiederzufinden und das Leben nicht länger aufzuschieben – sondern es im Hier und Jetzt zu leben.
Ein Wegbegleiter für alle, die auf der Suche nach einem Funken Licht in dunklen Zeiten sind.
Veröffentlichungsdatum: 15. Juni 2025
Leseprobe
Wenn das Feuer erlischt
Dunkelwald – oder: Ich will leben!
Gehetzt blicke ich mich um. Die dicht stehenden Bäume und Sträucher verschwimmen zu einem dreckigen dunklen Grün, mehr ist nicht zu erkennen.
Ich renne weiter. Immer weiter. Ein Ast peitscht mir ins Gesicht. Vor Schreck stolpere ich über eine Wurzel und schlage hart auf. Der Waldboden ist feucht. Steinchen bohren sich in meine Handflächen. Sofort springe ich wieder hoch und flüchte weiter den Pfad entlang.
Trotz meines keuchenden Atems sind die Geräusche hinter mir nicht zu überhören. Äste krachen. Laub raschelt. Mein Verfolger sagt nichts. Er brüllt auch nicht. Er kommt nur immer näher.
Ich spüre es.
Wie soll ich ihm bloß entkommen?
Erneut werfe ich einen Blick über die Schulter. Ein Schreckensschrei entfährt mir. In meiner Panik habe ich einen kleinen Abhang übersehen und stürze ihn hinab. Der Überschlag ist heftig. Es tut höllisch weh, aber zum Wundenlecken ist keine Zeit.
Mühsam raffe ich mich hoch und stürme weiter – direkt in ein großes Loch. Ausweichen ist nicht mehr möglich. Diesmal bleibt mir der Schrei im Hals stecken. Senkrecht falle ich in die Tiefe und knalle auf den Boden.
Ein hektischer Rundumblick zeigt mir unterhalb der steilen Wände viel Laub, Erde und kleine Ästchen; leider keinen weiteren Ausweg. Ich springe hoch und erreiche mit den Fingerspitzen nur knapp den Rand des Erdlochs; er bricht weg.
Verflucht! Ich sitze in der Falle, im wahrsten Sinne des Wortes.
Meinen Reflex, um Hilfe zu rufen, unterdrücke ich rechtzeitig und horche stattdessen nach oben. Ist er schon da? Hat er mich abstürzen sehen? Was gibt es jetzt noch für eine Chance für mich? Denn ohne Hilfe schaffe ich es nicht hier heraus und der Einzige in diesem einsamen Wald, abgesehen von mir, ist mein Verfolger.
Wer ist er überhaupt? Was will er von mir?
Typisch, dass ausgerechnet mir so etwas passiert. Warum geht eigentlich alles schief in meinem Leben? Offenbar ziehe ich ein Unglück nach dem anderen an; ein Drama nach dem nächsten. Warum immer ich? Hat sich die ganze Welt gegen mich verschworen?
Es ist echt zum Heulen.
Da überwinde ich mich nach Monaten endlich einmal, etwas für die Gesundheit zu tun und eine Runde zu joggen – und dann so etwas.
Wahrscheinlich bin ich selbst schuld, schließlich geht kaum jemand in den Dunkelwald. Genau aus diesem Grund habe ich ihn ausgesucht. Ich wollte niemanden treffen, es sollte mich niemand beobachten.
Verfluchte Eitelkeit! Die kann mich jetzt mein Leben kosten.
Einzelne Sonnenstrahlen brechen durch das Blätterdach und finden ihren Weg zu mir.
Ich bin es so leid!
All das Grübeln und Jammern bringt mich nicht weiter. Es nützt nichts, sich ständig zu beschweren und darauf zu warten, dass jemand anderes meine Probleme löst. Das wird nicht geschehen.
Ich muss sie endlich selbst angehen. Sei es nun hier mit diesem irren Verfolger oder in meinem ganzen Leben. Ich werde handeln – und zwar, bevor es zu spät ist.
Denn eins ist klar: Ich will nicht von einem wildgewordenen Kerl massakriert und wer weiß was werden. Ich will leben!
Die Gedanken bestärken mich. Plötzlich fühle ich mich gut.
Abgesehen von einer Kleinigkeit.
Irgendwie muss ich hier heraus. An den Wänden der Fallgrube ist keine Aufstiegshilfe zu finden. Etwas stellt mir beim Umhergehen ein Bein. Aus dem Laub ragt ein großer Ast hervor. Schnell hebe ich ihn auf. Er ist kräftig genug, um ihn als Waffe zu nutzen. Vielleicht sogar noch mehr, denn er lässt sich zwischen den Lochwänden festklemmen. Perfekt. Einen Fuß darauf gesetzt, greife ich wieder an den oberen Rand des Lochs. Dann hieve ich mich mit Hilfe der provisorischen Stufe in die Freiheit.
Sofort springe ich auf – bereit zu kämpfen.
Auch wenn es schon einige Zeit her ist, ich habe längst nicht alles aus dem jahrelangen Kampfsportunterricht vergessen. Ich werde dem hier jetzt ein Ende bereiten, zumindest werde ich nicht kampflos untergehen.
Suchend blicke ich mich um. Niemand ist zu sehen.
Ich bin allein.
Der Herbststurm pfeift immer heftiger zwischen den hohen Bäumen hindurch und lässt die Äste krachen.